Ein paar Minuten Glück



SÜDDEUTSCHE ZEITUNG : Betty Mü macht „Immersive Art“, eine Überwältigungstechnik mit Hilfe von Bildern, Videos, Musik und künstlicher Intelligenz, für die derzeit weltweit millionenteure Museen entstehen. Ist das Kunst – oder einfach bunte Unterhaltung? Ein Werkstattbesuch (Auszüge): 

(…) „Immersive Art“ nennt sich das, was sie da macht. Kunst zum Eintauchen. Seit zwei Jahren ist das in Asien und Amerika eine boomende – ja was? Kunstform? Branche? Industrie? Die erfolgreichste Gruppe in dem Bereich heißt Teamlab und ist in Tokio. Rund 700 Künstler, Designer, Architekten, Mathematiker und Programmierer gehören dazu. Sie bespielen Museumsbauten in Tokio, Shanghai und Macau, die eigens für sie gebaut werden. Demnächst wird Teamlab ein Museum in der Hamburger Hafencity einrichten. Das kostet sehr viele Millionen.

„Wir machen so was schon auch sehr gut“, sagt Betty Mü und lächelt dabei. Sie weiß schon, dass sie gegen eine internationale Konkurrenz antritt, die Materialschlachten inszeniert. Sie aber arbeitet nicht mit Hundertschaften, sondern mit einem kleinen, wechselnden Team. Manchmal ist sie alleine, manchmal sind sie zu zehnt. Die Wirkung ihrer Werke aber ist ähnlich gewaltig. Da findet man sich zum Beispiel in einer Halle am Rand von München-Schwabing, die vom Boden bis zur Decke mit Projektoren und Lautsprechern in einen Kosmos aus Farben, Bewegung und Klängen verwandelt wurde. Wobei man das weniger anschaut, als erlebt. (…)

In Leipzig werden 19 Projektoren die Halle in so ein Bilderbad verwandeln, das auf monumentale Weise so herrlich „oddly satisfying“ sein wird wie diese japanischen Minifilmchen. Und das ist nicht die einzige Arbeit, die in der Woche aufleuchten wird. Da ist auch noch „VideoArt4Future“. Das wird in München zu sehen sein, in Moosach. Da ist zwar nur ein einziger Projektor am Start, aber Betty Mü wird einen Schiffscontainer in einen Spiegelsaal verwandeln, in dem jedes Bild ins Unendliche verlaufen wird.

In Moosach hat Betty Müs Arbeit nicht nur wohltuende Wirkung, sondern auch eine Botschaft. Es geht ums Klima. Die Menschen werden in einem Bilderbad aus Land- schaften und Köpfen stehen, werden Stim- men zum Klima hören. An diesem Mittwoch ist Eröffnung. Dann geht es für Betty Mü nach Leipzig. Kurz davor wird ihre große Arbeit als winziges Icon auf ihrem Bildschirm erscheinen, eine nun endlich fertige Datei von ein paar hundert Gigabyte. Ein ziemlich fettes Datenpaket, aber immer noch klein genug, um auf einen handelsüblichen Rechner zu passen. Sie wird die Datei in einen dieser Übertragungsdienste laden und „send“ drücken. Wenn das Paket in Leipzig geöffnet wird, fließt es in 19 Projektoren. Und dann wird die Halle am Donnerstag vier Tage lang im Stundentakt in Blumen und Perlen und Glitzer aufgehen, in denen sich die Menschen verlieren.

Ein paar Minuten Glück. Mehr muss Kunst manchmal gar nicht sein. Die Metaebene kommt schon irgendwie an.